Demenz

Nach inzwischen mehr als 250 Patienten mit Alzheimer, vaskulärer und frontotemporaler Demenz, haben wir ausgiebig Erfahrung und teilweise sehr schöne Effekte gesehen bei der Behandlung mit TMS (Off-Label-Use).

Nun ist ein weiteres Stimulationsverfahren hinzugekommen, welches schon die CE Zulassung zur Behandlung von Demenz vom Alzheimer-Typ hat: transkranielle Puls Stimulation (TPS). 

Die 63jährige Patientin befindet sich im Endstadium der Demenz vom Alzheimer Typ. Am 3.11.2001 fiel sie bei zunehmender Eintrübung in ein Koma mit Schnappatmung und Bradykardie (Glasgow-Coma-Scale Score: 03).
Nach notärztlicher Versorgung mit Ringer-Lösung, Atropin, Akrinor sowie Xylocain i.v. erwachte die Patientin wieder aus dem Koma, blieb aber ohne jedwede verbale Reaktion. In der Folgezeit unterblieb bis auf 1000ml Ringer-Lösung täglich jedwede Medikation. Die Patientin hatte sich seit Sommer 2001 gegenüber der Medikation mit Donepezil und Memantine als therapierefraktär erwiesen.
Nach vier Wochen ohne jede verbale Reaktion aber zunehmender psychomotorischer Unruhe erhielt die Patientin im Dezember einige Behandlungen mit rTMS.
Als Ergebnis nach drei Stimulationen konnte eine Verringerung der psychomotorischen Unruhe festgestellt werden. Nach weiteren drei Stimulationen begann die Patientin wieder zu sprechen. Es kam dabei zwar anfänglich überwiegend zu Neologismen, Konfabulationen und semantischen Fehlleistungen, jedoch wurden von der Patientin nach und nach auch konkrete Wünsche und Empfindungen geäußert wie z.B.: „bitte komm“, „bitte bleib da“, „das tut weh“.
Die verbale Kompetenz auf diesem Niveau hielt auch noch im Februar 2002 an. Weiterhin konnte die Patientin zum ersten Mal seit Jahren das Trinkglas wieder zum Mund führen und selbständig trinken. Der Appetit hat sich nach der Magnetstimulation normalisiert.

Bei einem 85- jährigen Patienten mit einer mittelgradigen Demenz kam es unter Behandlung mit rTMS zu einer wesentlichen Verbesserung der Symptomatik. Die positive Entwicklung zeigte sich in einer wieder gewonnenen Lebensfreude sowie an einem deutlich gesteigerten Interesse an der Umwelt und Zunahme der Kommunikationsfähigkeit.
Verlauf: Der Patient war zunächst in einer Rehabilitationsklinik, konnte dort aber auf Grund von Nahrungsmittelverweigerung nicht angemessen behandelt werden.

Er zeigte ferner Affektlabilität mit Weinerlichkeit, Weglauftendenzen, Heimweh, Aggressivität gegenüber Fremden. Die notwendigen Pflegemaßnahmen konnten nicht angemessen durchgeführt werden. Zu Hause angekommen wirkte der Patient dann abgemagert und ausgetrocknet, war wenig mobil, verweigert die Grundpflege, war bei Hilfsmaßnahmen äußerst aggressiv, war zeitlich desorientiert, zeigte kein Interesse an verbaler Kommunikation.

Der Patient war insgesamt 3 Wochen zu Hause, als die 1. Sitzung mit rTMS begann.

Nach der 3. Sitzung gab es noch keine wesentliche Veränderung. Die Angehörigen bemerkten jedoch, dass der Patient aufgeweckter und die Augen klarer wirkten.

Nach der 4. Sitzung kam es zu einem deutlich gesteigerten Interesse am Umfeld, so z.B. an den Medien, am Tagesgeschehen sowie an der Außenwelt, an Jahreszeiten und Wetter.

Nach der 5. Sitzung war der Patient auf sein äußeres Erscheinungsbild bedacht, kämmte sich die Haare, schaute sich im Spiegel an, benutzte Rasierwasser, reinigte Flecken von der Kleidung. Der Patient las weiter nun täglich Zeitung und sah fern.

Nach der 6. Sitzung bemühte sich der Patient weiterhin verbliebene Fähigkeiten zu nutzen, so wie z.B. folgende Aktivitäten im Haushalt: Geschirr wegräumen, Fensterrollos öffnen und schließen. Der Patient verspürte den Wunsch das Haus zu verlassen um z.B. ein Cafe aufzusuchen, obwohl er gehbehindert ist und es ihm sehr schwer fällt mobil zu sein.

Die Angehörigen bemerken nach der 7. Sitzung, dass der Patient rege an Gesprächen innerhalb der Familie teilnahm und auch über Politik diskutierte. Weiterhin interessierten ihn die Tageszeitung und Geschehnisse vor Ort. Die Angehörigen bemerkten eine Rückkehr des Kurzzeitgedächtnis insofern, dass der Patient sich an Erzählungen und Ereignisse der letzten 2 Wochen erinnern konnte, z.B. fragt er nach , wann der Badewannensitz kommen würde und wusste, dass in der Vorweihnachtszeit nun der Christkindlmarkt bevorstand. Trotzdem fehlte weiterhin die tages- und wochenzeitliche Orientierung. Insgesamt fühlte sich der Patient mehr ausgeglichen und hatte nun Freude am Leben. Er hatte seine Gleichgültigkeit in Bezug auf die Umgebung abgelegt und war sehr kommunikativ geworden.

Im Dezember kam es nun zu einer schweren Erkältung, sodass die Therapiesitzungen ausgesetzt werden mussten. Nach etwa 6 Wochen ohne Therapie kam es zu einem Abbau der wieder gewonnenen Fähigkeiten so z.B. Wiederkehr der Vergesslichkeit sowie vermehrter Rückzug in die eigene Welt, zunehmende Einschränkung der Mobilität und Aktivitäten.

Wie wird Demenz mit rTMS (repetitiver transkranieller Magnetstimulation) behandelt?

Die Behandlung von Demenz mit repetitiver transkranieller Magnetstimulation (rTMS) ist ein relativ neuer Ansatz, der auf die Modulation der neuronalen Aktivität abzielt, um die Symptome von Demenzerkrankungen, wie Alzheimer oder vaskuläre Demenz, zu verbessern. rTMS hat das Potenzial, kognitive Funktionen wie Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Exekutivfunktionen bei Menschen mit Demenz zu stimulieren, indem es die Plastizität des Gehirns fördert und bestimmte Hirnregionen aktiviert, die durch die Krankheit beeinträchtigt sind.

1. Ziel der rTMS bei Demenz

Die Hauptziele der Behandlung von Demenz mit rTMS umfassen:

  • Verbesserung der kognitiven Funktionen: Die Behandlung zielt darauf ab, die Aktivität in Hirnregionen zu erhöhen, die mit Gedächtnis, Lernen und anderen kognitiven Funktionen verbunden sind.
  • Förderung der Neuroplastizität: rTMS soll die Plastizität der Gehirnzellen erhöhen, also die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu bilden und vorhandene zu stärken, was besonders bei Demenzpatienten von Vorteil sein kann.
  • Verlangsamung des Krankheitsverlaufs: Es gibt Hinweise darauf, dass rTMS möglicherweise helfen könnte, den fortschreitenden Abbau kognitiver Fähigkeiten zu verlangsamen.

2. Zielregionen der Stimulation

Bei der Behandlung von Demenz mit rTMS werden spezifische Hirnregionen stimuliert, die für kognitive Prozesse von besonderer Bedeutung sind:

  • Dorsolateraler präfrontaler Kortex (DLPFC): Der DLPFC wird häufig bei der Behandlung von Demenz stimuliert, da er eine zentrale Rolle in der Steuerung von Gedächtnis, Entscheidungsfindung und exekutiven Funktionen spielt. Eine hochfrequente Stimulation (10-20 Hz) des DLPFC kann die Aktivität erhöhen und somit die kognitive Leistungsfähigkeit fördern.
  • Temporoparietaler Kortex: Diese Region ist mit Gedächtnisfunktionen und der Integration sensorischer Informationen verbunden. Eine Stimulation dieses Bereichs könnte helfen, das Abrufen von Erinnerungen und die Verarbeitung komplexer Informationen zu verbessern.
  • Hippocampus (indirekt): Der Hippocampus ist das Zentrum für Gedächtnisbildung, aber da er tief im Gehirn liegt, kann er nicht direkt mit rTMS erreicht werden. Die Stimulation des benachbarten Kortex (insbesondere des DLPFC) kann jedoch die Funktion des Hippocampus indirekt unterstützen, indem die neuronale Aktivität und die Konnektivität verbessert werden.

3. Behandlungsprotokoll

  • Sitzungsfrequenz und Dauer: Typischerweise umfasst die Behandlung 20 bis 30 Sitzungen, die über 4 bis 6 Wochen hinweg durchgeführt werden. Einige Studien legen auch Auffrischungssitzungen („Booster-Sitzungen“) nahe, um die erzielten Effekte langfristig zu erhalten.
  • Stimulationsparameter: Bei Demenz wird in der Regel eine hochfrequente Stimulation angewandt (zwischen 10 und 20 Hz), um die neuronale Aktivität zu steigern. Dies ist besonders wichtig, um die kognitive Aktivität in den betroffenen Bereichen zu fördern.
  • Sitzungsdauer: Eine typische Sitzung dauert etwa 20 bis 40 Minuten, abhängig von der Frequenz und dem spezifischen Behandlungsprotokoll.

4. Wirkungsweise bei Demenz

Die Wirkung von rTMS bei Demenz basiert auf der Modulation der neuronalen Aktivität in Gehirnbereichen, die durch den degenerativen Prozess beeinträchtigt sind. Dazu gehören:

  • Verbesserung der neuronalen Konnektivität: Demenz führt zu einer verminderten Kommunikation zwischen verschiedenen Hirnregionen. rTMS kann die synaptische Plastizität erhöhen, also die Fähigkeit der Nervenzellen, neue Verbindungen zu bilden, wodurch die Kommunikation zwischen Hirnregionen verbessert werden kann.
  • Stimulation von Neurotransmittern: rTMS kann die Freisetzung von Neurotransmittern wie Dopamin, Glutamat und Serotonin beeinflussen, die für Lernprozesse und Gedächtnisbildung von Bedeutung sind. Diese chemischen Botenstoffe tragen zur Verbesserung der kognitiven Funktionen bei.
  • Aktivierung kognitiver Netzwerke: Die Stimulation bestimmter Areale, insbesondere des DLPFC, verbessert die Aktivität der Netzwerke, die an exekutiven Funktionen und Gedächtnisprozessen beteiligt sind. So kann rTMS dazu beitragen, die verbliebenen Fähigkeiten länger aufrechtzuerhalten.

5. Studienlage und Ergebnisse

  • Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten: Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass rTMS die kognitiven Fähigkeiten von Demenzpatienten verbessern kann, insbesondere das Kurzzeitgedächtnis, die Aufmerksamkeit und die exekutiven Funktionen. Patienten berichten oft von einer verbesserten Gedächtnisleistung und einer erhöhten Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu bewältigen.
  • Langzeitwirkung: Einige Studien deuten darauf hin, dass die Wirkung von rTMS mehrere Monate anhalten kann, insbesondere wenn regelmäßig Auffrischungssitzungen durchgeführt werden. Allerdings sind die langfristigen Effekte und die Möglichkeit einer Verlangsamung des Krankheitsverlaufs noch nicht endgültig geklärt.
  • Kombination mit kognitivem Training: Eine vielversprechende Strategie besteht darin, rTMS mit kognitivem Training zu kombinieren. Diese Kombination scheint die Wirksamkeit zu verstärken, indem das Training die kognitiven Effekte der rTMS verstärkt und die Plastizität des Gehirns weiter gefördert wird.

6. Nebenwirkungen und Risiken

  • Kopfschmerzen und Kopfhautreizungen: Wie bei anderen Indikationen können leichte Kopfschmerzen und Beschwerden an der Stimulationsstelle auftreten, die jedoch in der Regel mild und vorübergehend sind.
  • Krampfanfälle: Das Risiko für Krampfanfälle ist sehr gering, insbesondere bei Einhaltung der Sicherheitsprotokolle. Dennoch sollten Patienten sorgfältig überwacht werden, insbesondere wenn sie eine Anamnese mit erhöhtem Risiko für Krampfanfälle haben.
  • Kognitive Ermüdung: Einige Patienten berichten nach den Sitzungen über eine gewisse Ermüdung oder geistige Erschöpfung, was bei älteren Patienten mit Demenz verstärkt auftreten kann.

7. Kombination mit anderen Therapien

rTMS wird oft als ergänzende Therapie zu bestehenden Behandlungsmethoden eingesetzt:

  • Medikamentöse Therapie: Viele Patienten mit Demenz erhalten Medikamente wie Acetylcholinesterase-Hemmer (z. B. Donepezil). rTMS kann die kognitiven Vorteile dieser Medikamente verstärken, indem es die neuronale Aktivität erhöht.
  • Kognitives Training und Rehabilitation: rTMS scheint effektiver zu sein, wenn es mit kognitiven Rehabilitationsprogrammen kombiniert wird. Das Training von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Problemlösungsfähigkeiten kann die durch rTMS induzierte Plastizität optimal nutzen.

Fazit

Die Behandlung von Demenz mit rTMS ist eine vielversprechende, jedoch noch experimentelle Methode, die darauf abzielt, die kognitiven Funktionen zu verbessern und möglicherweise den Fortschritt der Erkrankung zu verlangsamen. rTMS kann durch die gezielte Stimulation von Hirnregionen wie dem DLPFC die neuronale Aktivität erhöhen und die Plastizität des Gehirns fördern. Obwohl die Forschungsergebnisse bisher ermutigend sind, ist diese Methode noch nicht vollständig etabliert, und weitere Studien sind notwendig, um die besten Protokolle und die langfristigen Effekte genauer zu bestimmen. Da Demenz eine komplexe Erkrankung ist, wird rTMS am besten in Kombination mit anderen Therapieformen wie kognitivem Training und medikamentöser Behandlung eingesetzt, um den größtmöglichen Nutzen für die Patienten zu erzielen.